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Lyrische Einblicke in den Schreibworkshop "Ich – ganz anders"

Zu den Ausstellungen „Plötzlich in Pracht beginnen. ROSE ENGLISH: Performance, Präsenz, Spektakel“, „Der Raum in unseren Köpfen. Die Sammlungen“ und „Freies Spiel der Kräfte. Die Sammlungen“. Das Museum der Moderne Salzburg veranstaltet Schreib- und Kreativworkshops für Menschen jeden Alters. Die Kunstwerke im Museum regen zum kreativen Schreiben und Gestalten an und eröffnen so einen neuen Zugang zur Kunst.

 

 

Im November 2024 sammelten die Teilnehmer:innen in den aktuellen Ausstellungen Ideen und Impulse um einmal „ganz anders“ zu sein: Unter der Leitung von Christian Sattlecker (Schauspieler und Theaterpädagoge) und Magdalena Stieb (Kunst- und Literaturvermittlerin) probierten die Teilnehmenden zum Thema „Ich ganz anders“ Schreib- und Gestaltungstechniken aus, bei denen Neues, Gefundenes und Altbekanntes kombiniert, verbunden oder auseinandergenommen wurde. Das „Ich“ stand im Mittelpunkt der Texte und wurde immer wieder neu erfunden. Das erfolgreiche Format wird auch heuer weitergeführt: Der nächste Schreib- und Kreativworkshop ist bereits in Planung.  

 

Eine Auswahl der entstandenen Texte zu „Ich ganz anders“ präsentieren wir Ihnen im Folgenden:

 

Zur Arbeit „TROTZ-DEM“ von Margot Pilz ist dieser gemeinschaftliche Text entstanden. Jede:r Teilnehmer:in schrieb zu einer der sieben Fotografien einen Text, sieben Texte ergeben am Ende ein Ganzes:

MO, MI, FR 17.00 -18.30
Training im Haltungskubus

Manchmal, immer öfter bereue ich meine Entscheidung zum Profi- Skisport. Das Training an den drei Tagen MO, MI, FR ist besonders belastend. Schon am Tag davor verspüre ich einen Drang mich frei zu bewegen, zum Laufen, ja sogar zum Tanzen. Rückt der Termin näher, verspannt sich mein ganzer Körper, Muskeln krampfen, ich bin wie versteinert. Speed, mein Trainer hat sich für mich etwas Spezielles einfallen lassen. Einen Kubus aus Hartfaserplatten, meiner Körpergröße in der Hocke angepasst. Das Ganze wurde in einem neutralen Weiß gestrichen, um jegliche Ablenkung zu vermeiden. Um 17.00 starte ich mit Aufwärmübungen. Um 17.30 heißt es ab in die Box. Ergonomische Haltung in der Abfahrtshocke einnehmen und halten, korrigieren, halten, locker atmen, korrigieren, halten. Speeds Stimme klingt hart durch den Lautsprecher. Er pusht mich, erniedrigt mich, wenn ich eine Hand an meinen schmerzenden Nacken halte. Er verursacht mir physischen und psychischen Schmerz. Ich weiß nie, wie spät es ist, ich weiß nur, dass ich nach 60 Minuten weinend zusammenbreche. Auf allen Vieren verlasse ich die Trainingsbox. Ich spüre mich nicht mehr, bin mental fertig.

Und am MI werde ich wieder kommen.
(E.S.)

Manchmal will das Leben selbst mich erdrücken. Ich schreie nicht – ich schreie nie. Ich halte nur dagegen an, widersetze mich der mich übermannenden Machtlosigkeit. Was soll ich sonst schon machen? Nur geht mir hier langsam der Atem aus… Luft, Luft – ich brauche Luft, ich –

Ruhig. Ersticken wirst du schon nicht. Mach nur brav weiter, bleib nur brav still und freundlich, lächle, nicke, schüttle Hände, grüße und äußere Zustimmung. Frau sein – und noch dazu jung – hat dir diese Rolle eingebracht. Wer nimmt dich schon ernst? Du selbst etwa? Ha! Dass ich nicht lache! Du bist klein und schwach, verletzlich und emotional, oft hysterisch, brauchst immerzu Hilfe, du hast keine Macht oder Kraft dich zu wehren, du –

(V.H.)

Atmen – einfach nur atmen – ich kann nicht mehr - alles hängt schief – ich muss mich auf meinen Atem konzentrieren – ruhig werden – immer bin ich unterhalb – warum nie oben? – Typisch ich – mein Herzschlag beruhigt sich gar nicht mehr – au, ein Krampf – ich muss da raus – so ein Kampf! – wie lange noch?   

(U.L.)

Oooo, wie es mich zerdrückt.
Der Druck auf meinem Rücken, Knien, den Füssen.
Sie stehen verschieden auf dem Boden.
Der eine flach, da gehts noch halbwegs,
Aber der andere ist abgebogen.
Wie mein Genick, der Kopf ist schon fast auf dem Boden.
NEIN, das will ich nicht.
Ich wehre mich, ich kämpfe zurück, ich werde es schaffen.

(C.v.d.W.)
 

Ich drehe mich im Sprung und lande auf der Schuhspitze. Die Arme gestreckt, der Rücken gerade, das Kinn nach oben. So bleiben, zwei Takte lang, bis der dritte kommt. Wieder springen, ich drehe mich im Sprung und lande auf der Schuhspitze. Zwei Takte, der dritte kommt. Springen, drehen, landen. So bleiben. Die Musik hört auf. Die Arme gestreckt, der Rücken gerade, das Kinn nach oben. Bleiben. Aus.

(S.C.)

Ich liege unter einer Platte.
Träume ich?
Durch den Spalt dringt noch Licht.
Mein Atem hebt die Platte.
Also noch Hoffnung.

(I.S.)

Nichts zu machen.
Wenn ich wüsste, dass da etwas gewesen wäre, dass ich da gewesen wäre, da drinnen nach unten gerückt worden wäre, wenn ich denn da drinnen gewesen wäre, wenn ich es denn gewusst hätte.
Ich bin da nicht gewesen, nicht ich, nicht dort, nicht gewesen.
Und dann, wenn ich doch dort gewesen bin, ja ich, dort gewesen, nach unten gedrückt worden bin, ich also dort gewesen und immer noch dort bin, gedrückt, ich, zerdrückt, ich.
Dann bin ich also dort und bin ich nicht mehr dort, so als ob ich niemals dort gewesen wäre.
Nichts zu machen.
(C.S.)


Fortsetzung von „Das Fenstertheater“ von Ilse Aichinger

Die Frau lehnte am Fenster und sah hinüber. Der Wind trieb in leichten Stößen vom Fluss herauf und brachte nichts Neues. Die Frau hatte den starren Blick neugieriger Leute, die unersättlich sind. Es hatte ihr noch niemand den Gefallen getan, vor ihrem Haus niedergefahren zu werden. Außerdem wohnte sie im vorletzten Stock, die Straße lag zu tief unten. Der Lärm rauschte nur mehr leicht herauf. Alles lag zu tief unten. […] (Ilse Aichinger)

Die Frau schloss das Fenster. Sie öffnete das Küchenregal. Drinnen standen noch zwei Gläser, in zwei Tagen würde sie also wieder die Spülmaschine einschalten. Sie schaute nach, ob die fünf Gläser darin und die Teller immer noch ordentlich aufgestellt waren, am Sonntag würde sie wieder sauberes Geschirr in die Regale stellen. So wie jede Woche.

Der Tisch war abgewischt. Die Fensterbank aufgeräumt. Im Regal standen alle Buchrücken in gerader Linie nebeneinander. Den Boden hatte sie am Tag davor geputzt. Vielleicht könnte sie heute staubsaugen. Die Fernbedienung lag im rechten Winkel zu dem Fernsehrahmen. Vielleicht könnte sie heute nur fernsehen. Sie schaute sich ihr Sofa an und die ordentlich zusammengefaltete Decke darauf. Sie nahm die Fernbedienung, setzte sich auf das Sofa und schaltete den Fernseher ein. Es wurde eine Aufnahme der Oper gezeigt. Eine Frau im breiten schwarzen Kleid trat in den Dialog mit einer Frau im hellbraunen Kleid. Ihre Stimmen waren laut und hoch. Sie schauten sich in die Augen, gingen aufeinander zu.

Die Frau schaltete den Fernseher aus. Es war still. Sie stand auf und schaltete die Spülmaschine ein.

Sara Cosabic
zu Rose English, Berlin


Alltag

Michael erwacht mit einem weirdly kribbelnden Gefühl im Bauch. Heute steht die lang erwartete Latein-Schularbeit an, mit Deklinationen, Fachwissen über die Speisen der Römer, mühevoll erlernten Vokabeln und allem. Nun ist Michael zwar kein schlechter Latein-Schüler, doch will er sich auch keine Illusionen machen: Ehrlich gesagt ist diese Schularbeit vielleicht seine einzige Chance, eine Zwei im Zeugnis zu bekommen – und die hätte er schon gerne.

Michael schält sich müde aus dem Bett, schlüpft in T-Shirt und Shorts und begibt sich ins Badezimmer, wo er sein verschlafenes Selbst im Spiegel mustert. Zu behaupten, er hätte um zehn Uhr abends das Licht ausgemacht und nicht bis fast Mitternacht gebüffelt, hätte bei den dunklen Augenringen in seinem blassen Gesicht nun wirklich keinen Sinn.

Um seine Nervosität zu lindern und etwas munterer zu werden, dreht Michael das Radio an. „Sparks“ von Coldplay läuft gerade – genau das Richtige für sein pochendes Latein-Schüler-Herz. „Wonderful, I love this song“, denkt er, schüttelt aber sofort den Kopf. „Nein, nein, nein! Latein, Michael, nicht Englisch!“

Während er sich ein Honigbrot schmiert, steigt jedoch tatsächlich Vorfreude in Michael auf. In feuriger Erwartung räumt er das Geschirr ab, putzt sich in Rekordzeit die Zähne und schwingt sich die Schultasche auf den Rücken, um das Haus in Richtung Schularbeit zu verlassen.

„Mein Latein-Lehrer wird sich freuen“, denkt er, „denn die Zwei im Zeugnis ist mir bei meiner Motivation sicherlich gewiss!“

Vicky Hovdar


Fortsetzung von „Das Fenstertheater“ von Ilse Aichinger

Ich breite meine Flügel aus – freier Fall – plötzlich Aufwind – leises Klirren der Gläser – sehe ich mich entbunden jeglichen Gefallens. Blätter wirbeln – legen sich um meinen Körper – sanft – eingehüllt – wärmend wie ein Kleid – gegen die kalte Luft da oben – sie ist dünn – kaum zu atmen – ich dachte frei – Freiraum ist nicht – oder besonders – alles liegt so tief – oben – kein starrer Blick mehr. Immer wieder Wind – ich mittendrin. Meine Flügel flattern – tarieren aus – blähen sich auf – nicht ankämpfen, denke ich mir – gegen den Fluss, denke ich auch. Fragen – immer wieder fragen, warum eigentlich? – Da stehen sie im Wasser – von oben, wie bis zum Hals – rudern – manche starr – als ob sie den Widerstand aufgeben! – Ich will – ich will – retten -mich – die anderen – nicht niedergefahren, aber abgefahren – der Zug? Nein, der steht – noch kann ich ihn sehen – von oben – kann mich hinüberschwingen – aber der Wind – Wind gegen? Mit, sage ich - fliege mit, sage ich – lass dich treiben – der Zug, denke ich – nicht ohne mich abfahren – will dabei sein – aber oben, hier? Die Luft so – hmm – riecht nach altem Laub – Herbst – guut, denke ich – aah, sage ich – so gut Das – abgefahren!

U.L.
zu Rose English, Berlin


Sahra’ Qarya

Der Klimawandel ist
der Oasen Grab

Mangel hier
Überfluss dort

Die Wüste holt
was in ihr entstand

Jetzt

zu den Ruinen hier
kommen Massen von dort
um zu staunen
wie ihre Zukunft sein wird

Elisabeth
zu Angelika Loderer, Untitled (Secession) 5,6, und 7


Hallo!
Sie haben unseren PRIVATWEG gefunden.
Die EINBAHN landet direkt bei uns,
in unserer ZONE.
Wir stellen ihnen einen CONTAINER zur Verfügung.
Heute Abend findet der KRAMPUSLAUF statt.
Wir sind DAFÜR, dass sie bei uns feiern.
Sie sind herzlich eingeladen.
Hier ist keine ABSCHLEPPZONE.

I.S.

 

 

© MdMS, Foto: Kunstvermittlung
© MdMS, Foto: Kunstvermittlung
© MdMS, Foto: Kunstvermittlung
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